Ein unbequemer Gottesmann

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WALLENHORST. (von Joachim Dierks)
„Wenn Pastor Lichtenbäumer zur Vordertür hinausgeworfen wurde, kam er durch die Hintertür wieder herein.“ So beschrieb der Vorsitzende der Siedlergemeinschaft Hollage im Rückblick die Hartnäckigkeit  Paul Lichtenbäumers, mit der er Berge von Hindernissen aus dem Weg räumte, die sich vor dem Bau der Josefsiedlung auftürmten.  Lichtenbäumer trat 1948 die Pfarrstelle von St. Josef an. Die erste große Herausforderung  im neuen Amt war die Not der Menschen in überbelegten Wohnungen.

Nach Kriegsende mussten zwölf Millionen Deutsche aus den verlorenen Ostgebieten eine neue Heimat finden. 750 von ihnen trafen völlig mittellos in Hollage ein. Die Behörden verfügten zwangsweise ihre Einquartierung bei der Hollager Stammbevölkerung, die vielfach schon beengt genug wohnte. 1948 war jeder dritte Hollager ein Ostflüchtling.

Pastor Lichtenbäumer beschrieb die Ausgangslage so: „Es war an einem Dezemberabend des Jahres 1948. Müde und auch ein wenig verzagt war ich heimgekehrt von meinen ersten Hausbesuchen in meiner neuen Gemeinde, die mich wieder einmal in manches Elendsquartier geführt und viel leibliche und seelische Not hatte sehen lassen. Da wurde es mir mit einem Male klar […]: Was nützt bei der beängstigenden Überbelegung des Dorfes alle Caritas, was soll hier alles Predigen über Nächstenliebe, Sittlichkeit, eheliche Treue, christliche Familien- und Kinderfreundlichkeit! Hier kann nur eines helfen […]: die Tat!“

Anfang 1949 scharte Lichtenbäumer eine Gruppe siedlungswilliger Alt- und Neu-Hollager um sich, egal ob Katholik oder Protestant, und gründete das „Kirchliche Siedlungswerk St. Josef“ mit dem Ziel, in der „Jungen Heide“ nördlich der Josefkirche eine Siedlung für hundert Familien zu errichten. Er verhandelte mit den Landwirten, die sechs Hektar Land zu einem annehmbaren Preis hergeben sollten, mit Gemeinde, Landkreis, Regierung und Bischöflichem Stuhl, um Baumaterial und günstige Kreditkonditionen zu beschaffen. Dass er in dieser Zeit nicht so oft in der Kirche oder im Pfarrbüro, sondern mehr in  Ämtern  anzutreffen war, rechtfertigte er später so: „Vergessen wir nicht, daß die Kirche alle Dinge etwas angehen, die mit dem Menschen zu tun haben. Das Leben vollzieht sich in der Einheit von  Leib und Seele. So wenig der Arzt die Seele, so wenig darf  der Seelsorger den Leib übersehen.“

Ein Moment dankbarer Genugtuung war es für den „Siedlervater“ Paul Lichtenbäumer, als Bischof Berning am 12. September 1949 den Grundstein für die ersten 24 Häuser legte. Die Siedler brachten ihre eigene Arbeitsleistung in großem Umfange ein. Bis 1954 entstanden an Neuland-, Berning- und Frankensteiner Straße insgesamt 52 Häuser. Zehn Jahre lang, bis Januar 1958, war Lichtenbäumer Gemeindepfarrer in Hollage. Die Linderung der Wohnungsnot war es nicht allein, die die Erinnerung an ihn wachhält. Er machte sich um den Bau des Schwesternhauses an der Bergstraße, des Altenheims und der neuen Friedhofskapelle verdient. Er  gründete und leitete eine Laienspielschar, die in den acht Jahren ihres Bestehens mit religiösen Bühnenstücken mehr als 30.000 Besucher in den Saal Barlag lockte.

Nach 1958 lebte Lichtenbäumer in Iserlohn, wo er am 15. Oktober 2001 kurz vor seinem 100. Geburtstag starb. Die Gemeinde setzt ihm nun mit der Straßenbenennung in dem Neubaugebiet „An der  Barlager Brücke“ ein Denkmal. Ihm, der für die Obrigkeit stets unbequem war, weil er von Instanzenwegen nicht viel hielt, sich wenig um die Planungshoheit  der  Politik scherte und angesichts der Not Fakten schuf, als die Gemeindeväter noch zögerten.

Der Ort ist trefflich gewählt,  grenzt das neue Baugebiet  doch direkt an die von Lichtenbäumer initiierte und später vom Stephanswerk vollendete Siedlung.

Quelle: NOZ vom 31.10.2014