Klosterstraße erinnert an die frühere Zisterzienserinnen-Abtei in Rulle

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Blick vom Klosterhügel auf das ehemalige Pforthaus des Klosters, heute Gasthaus Nieporte. Rechts daneben das sogenannte „Bauhaus“ und die Prozessionskapelle. Das Foto des Kaplans Erich Raudisch aus der Zeit um 1940 stellte die Archivgruppe Wallenhorst zur Verfügung.

Fast 600 Jahre prägte das Kloster den Ort

Wallenhorst
Die ursprüngliche Klosteranlage ist nicht mehr vorhanden. Dennoch prägt keine andere Institution die Ortschaft Rulle bis heute so sehr wie das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Marienbrunn. Über mehr als ein halbes Jahrtausend, von 1246 bis 1803, bestimmte das Frauenkloster das geistige wie das weltliche Leben im Dorf. So war es mehr als gerechtfertigt, auf dem ehemaligen Klostergrund das Baugebiet „Klosterhügel“, eine Straße „Klosterhügel“ und die „Klosterstraße“ zu taufen.

Mit einem kundigen Führer, sei er aus Fleisch und Blut oder in Buchform, lassen sich noch zahlreiche Spuren des Klosters entdecken. Da ist zum einen die heutige Pfarrkirche St. Johannes, in der die alte Klosterkirche von 1344 steckt. Sie wurde 1927/28 beim Umbau vergrößert und mit der noch älteren Pfarrkirche unter einem gemeinsamen Dach zur Wallfahrtskirche vereinigt. Quer zu den beiden Kirchenschiffen liegt der einstige Kapitelsaal, wichtigster Versammlungsraum der Ordensfrauen und Grablege der Äbtissinnen. Vier Grabsteine, mit prächtigen Familienwappen geschmückt, geben in lateinischer Sprache Auskunft über die Lebensdaten und Amtszeiten der „hochedlen Dominae“.

Zum Klosterkomplex gehört der seit 1923 kapellenartig überbaute Marienbrunnen, der dem Kloster 1661 den später nicht mehr gebräuchlichen Namen Kloster Marienbrunn gab. Der Legende nach hatte ein blinder Schäfer die Quelle entdeckt, als er einen Stab in die Erde steckte und Wasser hervorsprudelte. Das Wasser habe ihm sein Sehvermögen zurückgegeben, sagt man. Klosterwappen und Familienwappen der Äbtissin von Hövell, die sich einst über dem Portal des nicht erhaltenen Schwesternhauses befanden, sind jetzt auf der Innenseite des Brunnenhauses angebracht.

Wahrscheinlich am bekanntesten ist das ehemalige Äbtissinnenhaus. Es wird seit 1957 als Jugendbildungsstätte „Haus Maria Frieden“ des Bistums genutzt. Große aktuelle Bedeutung hat auch das Kulturzentrum „Ruller Haus“, das aus einer mittelalterlichen Wallfahrtskapelle hervorgegangen ist. Die „Blutkapelle“ erinnerte an die Auffindung der gestohlenen Ruller Hostiendose im Jahre 1347.

Das Pforthaus des Klosters wird heute als Gasthaus „Zum alten Kloster“ genutzt. An klösterlichen Bauwerken sind das sogenannte „Bauhaus“ und der Schafstall erhalten. Und, nicht zu vergessen, die kürzlich restaurierte Klostermauer. Die verzweigte 300 Jahre alte Sandsteinmauer zwischen der Wallfahrtskirche und der früheren Klosteranlage genießt Denkmalschutz.

Die Bedeutung der Klostergeschichte reicht bis in die heutige Zeit. Das wird an den Ruller Wallfahrten sichtbar, die jährlich Tausende von Gläubigen zum „Heiligen Blut“ und zur „Schmerzhaften Mutter“ in Rulle in Marsch setzen. Der „Codex Gisle“, eine 700 Jahre alte Musikhandschrift aus dem Kloster, wird in diesen Tagen mit einer Ausstellung im Diözesanmuseum und einer auch international beachteten Faksimile-Ausgabe gefeiert.

Als das Kloster 1803 aufgelöst wurde, fielen seine Besitztümer an das Königreich Hannover und wurden fortan von der Klosterkammer verwaltet. Nachfolgebehörde ist eben jene Klosterkammer des Landes Niedersachsen, mit der sich heute die Erbbauberechtigten in Ruller Baugebieten um die Neufestsetzung des Erbbauzinses streiten – auch darin zeigt sich das Fortwirken der Klostergeschichte.

von Joachim Dierks

Quelle: NOZ vom 12.6.2015