Piesberg – Osnabrücks zweitältester Bahnhof

Loading

Einst Zechenbahnhof, heute Eingang zur Industriekulturlandschaft

Von Petra Pieper

OSNABRÜCK
Piesberger  Anthrazit — in den Gründerjahren ein Qualitäitsbegriff.  Der Brennstoff wurde als  ,,fette Schmiedekohle“ mit  gewaltiger Hitzeentwicklung geschätzt, ebenso als  ,,vorzügliche Hausbrandkohle“, die laut Werbeprospekt von 1896 rußfrei verbrannte und im eigens entwickelten Piesberger Ofen  „die intensivste Hitze“ verbreitete. Schon seit dem  Mittelalter wurde im Piesberg Steinkohle gefördert,  doch erst mit der zunehmenden lndustrialisierung  Mitte des 19. Jahrhunderts  wuchs der Energiebedarf rasant. Damals entwickelte  sich die Kohleförderung in  Osnabück zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor.  Ein Eisenbahnanschluss war da genau das Richtige.

Als sich der Bau der ersten  Eisenbahnlinie durch Osnabrück abzeichnete — die sogenannte Hannoversche Westbahn wurde 1855/56 in Betrieb genommen —, bemühten sich die Osnabrücker  konsequenterweise um Anbindung ihres bis dahin einzigen großen Industriebetriebs, des Bergwerks, an die  Bahn. Rolf Spilker, Leiter des  Museums Industriekultur,  weist  darauf hin, dass zunächst nicht die von den hannoverschen Planern vorgesehene Südumgehung der Innenstadt mit Bahnhof am Rosenplatz oder in der Wüste  realisiert, sondern der nordöstlichen Streckenführung  mit dem Hannoverschen  Bahnhof der Vorzug gegeben  wurde.

Diese Route gab der Stadt,  in deren Besitz der Piesberg  sich damals befand, die Möglichkeit, in Höhe des später  entstandenen Bahnhofs  Eversburg einen Gleisanschluss mit einer kurzen  Zweigbahn zum Hasestollen  zu bauen.

Der Kopfbahnhof am Piesberg war immer ein Güterbahnhof; Personenverkehr,  der nach Recherchen von Lothar Hülsmann in den Jahren  1868 bis 1871 in bescheidenem  Umfang durchaus stattgefunden hat, war eigentlich nicht  intendiert. So gab es auch weder ein Empfangsgebäude  noch feste Fahrpläne. Der Zubringerverkehr zur Hauptstrecke wurde 1857 zunächst  mit Pferden, später mit  Dampflokomotiven der Georgsmarienhütte betrieben,  die 1889 die Kohlegruben erworben hatten.

In den 187Oer-Jahren kamen zum Kohletransport  auch vermehrt Frachten aus  dem benachbarten Steinbruch hinzu, für dessen Produkte — vor allem Pflaster-  und Bordsteine — die wachsenden Städte zunehmend  Bedarf hatten. Seit 1876 eröffnete die Eisenbahnstrecke  nach Oldenburg zusätzlich  neue lukrative Absatzgebiete. Die Produktpalette erweiterte sich stetig, so wurden ab  den 1890er-Jahren in Brecheranlagen aus Gesteinsresten Gleisschotter und andere  Mischungen hergestellt, und  ein Zementwerk verarbeitete  die Rohstoffe zu Kanalrohren, Brunnenringen und anderem. Eine Besonderheit  auf den verschiedenen Steinbruchsohlen waren die Mosaikhütten, in denen Mitarbeiter bis 1958 von Hand  Kopfsteinpflaster schlugen.

Hatte der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten-Verein den Zechenbahnhof noch  1890/92 vergrößert  und 1893  eine neue Kohlenaufbereitungsanlage in Betrieb genommen, so kam doch wenig  später das Aus für die Zeche.  Massive Probleme mit der  Wasserhaltung und ein heftiger Arbeitskampf 1898 führten zu ihrer Schließung.  Rund 1000 Bergleute wurden  arbeitslos. Etwa ein Viertel  von ihnen fand Arbeit im  Steinbruch, der bereits 500  Menschen Lohn und Brot  bot. Und auch der Bahnhof  wurde weiterhin für die  Steintransporte genutzt, sogar — wegen der großen  Nachfrage — 1905 mit einem  zweiten Gleis Richtung  Eversburg ausgestattet. Zwar  ging das Bahnfrachtaufkommen mit dem Bau des Stichkanals 1916 deutlich zurück,  doch werden bis heute Bahntransporte der Steinindustrie  abgefertigt.  Dass aus dem einstigen Grubenbahnhof inzwischen  ein ,,Kulturbahnhof“ mit gelegentlichem Personenverkehr geworden ist, verdankt  sich nicht zuletzt dem Engagement der Osnabrücker  Dampflokfreunde, die hier  seit 1988 residieren.

Die Eisenbahn-Enthusiasten haben sich der Aufgabe verschrieben, insbesondere die  regionale Eisenbahntradition am Leben zu erhalten.  Sie betreiben auf den fünf  Gleisen mit alten Dampf-  und Dieselloks, Personen-  und Güterwagen eine Raritätensammlung, die sich sehen  lassen kann. Außergewöhnliche Stücke sind darunter wie  der ehemals schmalspurige  ,,Goliath“ der Georgsmarienhütte, eine attraktive Diesel-,,Lollo“, etliche authentisch  aufgearbeitete Donnerbüchsen, Güterzugpackwagen, ein  originaler Homann-Kühlwagen sowie Lazarettwagen der  Bundeswehr. Gegenwärtig  machen die Dampflokfreunde mit der Restaurierung der  ehemaligen Schinkel-Lok,  der 411 052, von sich reden.  Überhaupt sorgen die Vereinsmitglieder, die zwischen  1988 und 1991 das ehemalige  Stellwerk West der Georgsmarienhütten-Eisenbahn ab-  und am Piesberg wieder aufgebaut haben, für viel Leben  auf den Gleisen.

Im Zusammenspiel mit  dem Museum Industriekultur, dem Museum für feldspurige Industriebahnen und dem Piesberger Gesellschaftshaus beleben sie den  sich immer weiterentwickelnden Kultur- und Landschaftspark. An speziellen  Dampfloktagen, am Bergfest  und zu anderen Anlässen  werden die historischen  Fahrzeuge in Betrieb genommen, Besucher aus der Innenstadt zum Piesberg  chauffiert und so die ,,Erlebniswelt Eisenbahn“ wachgehalten.

Ein bisschen Sorge beschleicht den Vereinsvorsitzenden Albert Merseburger,  wenn er an den ,,Piesberger  Lückenschluss“ denkt, den  die Stadtwerke seit dem letzten Jahr vorantreiben, um  die Hafenbahn, die bislang  im Hafen endete, nun auch  von zweiter Seite an die  Bahnstrecke  Hannover-Amsterdam anzubinden.  Mit der inzwischen fast fertiggestellten Baumaßahme  soll der Sackgassencharakter  der Hafenbahn überwunden  und das Schienennadelohr  Hasetor entlastet werden.

Projektleiter Jürgen Werner weist darauf hin, dass es  sich bei dem 700 Meter langen Gleisabschnitt zwischen  dem bisherigen Gleisende  am Stichkanal und dem Piesberger Zechenbahnhof um  eben die Trasse handelt, die  es bereits im Krieg und bis  1946 zur Umfahrung des  Hauptbahnhofs gegeben hatte. Noch sei nicht klar, wie  viele Containerzüge in Zukunft über den Zechenbahnhof rollten, aber er sei sicher,  dass es zu einer einvernehmlichen Abstimmung mit den  Dampflokfreunden komme.

Quelle: NOZ vom 3.11.2012