Wie die Skulptur Karls des Großen den Weg ins Wallenhorster Rathaus fand
Von Joachim Dierks
WALLENHORST
Von manchen Kindem wird er für den Nikolaus gehalten. Aber auch viele Erwachsene wissen wenig mit ihm anzufangen: Karl der Große, als überlebensgroße Holzfigur, nach wechselvoller Geschichte im Foyer des Wallenhorster Rathauses. Die Statue wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Osnabrück geschaffen, um als Symbol nationaler Größe die Spendenfreudigkeit der Bevölkerung anzuregen.
Doch wie kommt das 2,70 Meter hohe und eine halbe Tonne schwere Eichenholz-Monstrum ausgerechnet nach Wallenhorst? Erste Auskunft gibt Franz-Joseph Hawighorst, in der Gemeindeverwaltung neben seinen offiziellen Funktionen auch so etwas wie ein wandelndes Gemeindearchiv: „Den wollte nach dem letzten Krieg keiner mehr haben, und da hat unser damaliger Gemeindedirektor Hugo Pott zugegriffen.“
Der plötzliche Verlust der Wertschätzung hing damit zusammen, dass der Hurra-Patriotismus, für den Karl stand, nach 1945 nichts mehr mit dem Leben der Menschen zu tun hatte, andererseits die Zeit noch nicht reif war, seine kulturhistorische Bedeutung zu erkennen. Bis 1919 war die Statue in der Eingangshalle des Osnabrücker Rathauses aufgestellt, landete dann in der Backhaus-Realschule und nach 1946 schließlich in einer Abstellkammer der Schule.
Ihre große Zeit hatte die Statue 1915. Der Osnabrücker Bildhauer Heinrich Wulfertange (1854-1924) schuf das Bildnis des Bistumsgründers in vollem Krönungsornat in Anlehnung an eine Bilddarstellung von Albrecht Dürer. Die Idee damals war, die nationale Symbolkraft des Frankenkaisers wie auch seine regionale Bedeutung zur Erweckung vaterländischer Gefühle nutzbar zu machen. Karl sollte besonders wehrhaft erscheinen, indem jedermann ihm gegen eine Spende einen Nagel einschlagen durfte. Die Nagelköpfe dicht an dicht erzeugten den Eindruck einer Stahl-Panzerung, die ihn unverwundbar machte – ganz so wie im übertragenen Sinne auch das Kaiserreich selbst sich darstellen wollte. Die Spenden kamen einem Hilfsfonds für Krieger-Witwen und -Waisen zugute.
Die Sache funktionierte offensichtlich gut. Die anfängliche Kriegseuphorie rief bei vielen Menschen, die nicht mit der Waffe an die Front konnten oder durften, das Bedürfnis hervor, etwas zum Sieg beizutragen. 1915 wurde als das „Eiserne Jahr“ ausgerufen, und die Osnabrücker Geschäftsstelle des Deutschen Roten Kreuzes gab Sonderpostkarten her aus, auf denen man seinen Freunden nah und fern die Stelle im Mantel des „Mannes von Eisen“ markieren konnte, in die man den eigenen Nagel geschlagen hatte. Der patriotische Kartengruß lautete: „Karl der Große, Mann wie Eisen, Deiner wert uns zu erweisen, Deutschlands Ehre hoch zu preisen, nageln wir Dich jetzt in Eisen.“ Die Nagellöcher waren, einem Muster folgend, vorgebohrt, sodass mit dem Einschlagen der Nägel nicht nur eine schmückende Ornamentik auf Karls Krönungsmantel zustande kam, sondern der einzelne Spendenakt auch schneller von der Hand ging. Komplette Firmenbelegschaften, Traditionsvereine und Schulklassen standen schließlich in Reih und Glied angetreten, um ihre „Ehrengabe“ abzuleisten. Geschätzte 30000 Nägel wurden in die Figur hineingetrieben. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, denn im Wallenhorster Rathaus fand bislang kein Beamter die Zeit, sie zu zählen. Jedenfalls sollen bis November 1915, dem Ende der vor dem Theater am Domhof zelebrierten öffentlichen Nagelaktionen, 117000 Mark zusammengekommen sein. Ein einfacher Nagel kostete 50 Pfennig, die versilberten und vergoldeten Ausführungen bis zu 1000 Mark.
So wie die Osnabrücker sich den Gründer von Bistum und Stadt als Nagelfigur auserwählten, gab es fast in jeder Stadt Deutschlands und Osterreich-Ungarns ähnliche Aktionen rund um nationale oder lokale Symbolfiguren. In Quakenbrück war es der „Eiserne Burgmann“, den Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser 1916 der Stadt schenkte und dessen Nagelung Geldspenden für die Milderung der Kriegslasten erbrachte. Bremen baute 1915 seinen „Eisernen Roland“ vor dem Rathaus auf, Berlin eine Figur des Generalfeldmarschalls von Hindenburg an der Siegessäule im Bezirk Tiergarten. Sofern die Nagelfiguren die Zeitläufte überstanden, sicherten sie sich häufig Museen für ihre stadtgeschichtlichen Sammlungen, so etwa das Braunschweigische Landesmuseum die benagelte Holzfigur Heinrichs des Löwen.
In Osnabrück kam es anders. Die inzwischen arg ramponierte Figur auf dem Dachboden – Diebe hatten längst die wertvollen Edelmetall-Nägel gezogen, die Hand mit dem Reichsapfel war abgetrennt – sollte anlässlich einer Aufräumaktion in den frühen 1970er-Jahren entsorgt werden. „Die wollten das Ding doch tatsächlich zum Piesberg bringen“, erinnert sich der damalige Gemeindedirektor Hugo Pott. Er erfuhr von dem Vorhaben von Kaspar Müller, dem langjährigen Vorsitzenden des Heimatbundes Osnabrücker Land (HBOL). Pott war selbst auch im Vorstand des Heimatbundes, und da er passende Räume zur Verfügung hatte, tagte der Heimatbund regelmäßig im Hollager Rathaus. Dabei kamen die beiden Heimatfreunde auch oft an der freien Stelle im Treppenloch vorbei, bis Pott eines Tages sagte: „Hier würde der Karl eigentlich genau hinpassen !“
Gesagt, getan. Karl bekam die Hand wieder angesetzt, weitere notwendige Restaurierungen waren rasch ausgeführt und der Transport organisiert. Als Wallenhorst 1994 ein neues Rathaus bekam, zog Karl mit um.
Hugo Pott sieht im Rückblick seinen Verwaltungsakt nicht nur als eine „Asylgewährung“ für ein dem Untergang preisgegebenes kulturgeschichtliches Denkmal ersten Ranges, sondern: „Karl hat ja durchaus etwas mit Wallenhorst zu tun, der hat uns christianisiert, der gehört hier hin!“ Nicht nur, dass Karl sich mit dem Sachsenherzog Wittekind auf dem heutigen Gemeindegebiet Scharmützel lieferte – die Wittekindsburg liegt in Rulle, die Karlssteine im Hohne auch fast auf Wallenhorster Territorium -, Karl soll auch persönlich dafür gesorgt haben, dass die Alte Alexanderkirche zu Wallenhorst statt des üblichen Wetterhahns eine goldene Henne aufgesetzt bekam, damit die Henne weitere christliche Kirchen in der Umgebung ausbrüte, was dann im Ergebnis ja auch gelang.
Quelle: NOZ vom 4.8.2009
siehe auch Leserbrief vom 7.8.2009