Der Hansekanal und seine wirtschaftliche Bedeutung (Teil I)

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Blick vom Portalkran gegen die Stadt. Foto: R. Lichtenberg

Der vor etwa 20 Jahren von der Stadtverwaltung gefasste Beschluss, Osnabrück  an das deutsche Wasserstraßennetz anzuschließen, ist in den Jahren 1911 bis  1915 durch den Bau des Hafens mit anschließendem Zweigkanal, welcher für  Schiffe bis zu 800 t befahrbar ist, verwirklicht worden. Im April 1916 lief das erste  Schiff in den Hafen ein.

Die seitherige Entwicklung entspricht in jeder Hinsicht den Erwartungen, zum Teil  sind diese insbesondere unter Berücksichtigung der durch den Krieg verursachten Hemmungen des allgemeinen Wirtschaftslebens noch übertroffen worden.  Die Grundlage für den Hafenverkehr bilden die in der Stadt und Umgebung alteingesessene Industrie und der von jeher lebhafte Großhandel. Wichtig ist auch  die blühende Landwirtschaft im Bezirk Osnabrück mit ihrem Bedarf an Futter-  und Düngemitteln.

Der Güterverkehr auf dem Wasserwege betrug im Jahre 1916 rund 13 000 t und  erreichte nach Überwindung der durch die Ruhrbesetzung verursachten Schwierigkeiten im Jahre 1926 eine Höhe von rund 312 000 t. Ein weiteres Steigen ist  zu beobachten. Die wichtigsten Transporte sind: Eisenerz, Getreide und Mühlenfabrikate, Kohlen, Zellulose, Zucker, Holz, Metalle, Erzeugnisse der Eisenindustrie, Rohstoffe für die Düngemittelindustrie usw.

Bemerkt sei noch, dass in den  Jahren 1921 bis 1922 auch die Reichsbahn den Wasserweg lebhaft benutzte,  um ihre Lager in Osnabrück Kirchweyhe usw. ausreichend mit Brennstoffen zu  versorgen. Wie in den meisten Binnenhäfen so überwiegt auch in Osnabrück das  Importgeschäft. Die Hauptbeziehungen bestehen mit den Nordseehäfen Bremen  und Emden, ferner den Häfen am Rhein-Herne-Kanal, dem Rhein und Hannover- Hildesheim.

Zwischen den Häfen am Rhein und im Ruhrgebiet einerseits und Osnabrück –  Hannover andererseits verkehren regelmäßig schnellfahrende Motorboote für  Eilgüter. Dieser Eildienst bietet dem Handel und der Industrie für den Transport  hochwertiger Stückgüter erhebliche Frachtvorteile und wird in steigendem Maße  in Anspruch genommen. Es soll versucht werden, einen gleichen regelmäßigen  Eilgutverkehr auch mit Bremen zu organisieren. Ein Bedarfs-Eilverkehr findet auf  diesem Wege zurzeit schon statt.

An Umschlagseinrichtungen sind zwei Verladebrücken mit je einem Drehkran von  15 t Hubkraft, die in erster Linie dem Erzverkehr dienen und zwei Portalkräne  mit je 6 t Hubkraft vorhanden. Eine Getreideumschlagsanlage mit 35 t stündlicher Leistung ist in Ausführung. Der Lagerung von hochwertigen Gütern dienen  das am Ostufer des Hafens stehende viergeschossige massive Lagerhaus mit  ca. 3200 qm Lagerräumen und zwei Lagerschuppen mit zusammen ca. 10 500  qm, insgesamt also etwa 13 700 qm geschlossene Lagerräume. Die Lagergebäude sind mit modernen Einrichtungen zur Behandlung von Getreide ausgerüstet  (Wiege- und Absackmaschinen, Entstaubungsvorrichtungen, Stapler, Aufzüge).  Der Errichtung einer Siloanlage wird in absehbarer Zeit näher getreten werden  müssen.

Von den im Rechnungsjahre 1926 angekommenen und abgegangenen Gütermengen (rund 312 000 t) wurden rund 284 000 t auf Bahnwagen (Reichsbahn-  u. Hafenbahnwagen) umgeschlagen bzw. kamen von dort. Außer diesen Umschlagsmengen beförderte die Hafenbahn für die Gleisanschlussinhaber rund  64 000 t und für die Freiladestraße im vorderen Hafengebiet rund 27 O00 t im reinen Bahnverkehr zusammen mithin 91 000 t, sodass sich für das Rechnungsjahr  1926 der Gesamtgüterverkehr auf der Hafenbahn ergibt zu rund 375 O00 t.  

Im Jahre 1926 hat sich in Osnabrück auch erstmalig ein Unternehmen für die  Personenschifffahrt auf dem Kanal gebildet. Für ruhe- und erholungsbedürftige  Personen bieten die Fahrten entlang dem reizvollen Wiehengebirge nach Bad  Essen sicher einen Genuss. Viel werden die Dampfer von Schulen und Vereinen  für Ausflüge benutzt. Wessen Zeit knapp bemessen ist, fährt einen Weg auf dem  Wasser und den anderen auf der Eisenbahn.

Der allgemeine Betrieb des Hafens liegt in den Händen der städtischen Hafenverwaltung, welche auch den Hafenbahnbetrieb ausübt und die Vergebung von  Grundstücken für die Niederlassung von Handel und Industrie bearbeitet. Für  letzteren Zweck hat die Stadt vorerst eine zusammenhängende Fläche von mehr  als 700 000 qm vorgesehen, wovon ein großer Teil bereits besiedelt bzw. für Verkehrsanlagen in Anspruch genommen ist. Für den Güterumschlag und Verkehr  in diesem Gebiet stehen zurzeit ca. 1,5 km nutzbare Uferlänge und etwa 12 km  Betriebs- und Ladegleise zur Verfügung. Pläne für die Erweiterung dieser Anlagen  liegen vor und werden nach Bedarf in die Wirklichkeit umgesetzt.

Die Bahnabfertigung wird durch die Reichsbahngüterabfertigung Osnabrück-Hafen bewirkt.  In den Händen der Osnabrücker Lagerhausgesellschaft m.b.H. liegt, abgesehen  von dem Erzverkehr, in der Hauptsache das Umschlags-, Speditions-, Lagerei-  und Schiffsbefrachtungs- usw. Geschäft. Diese Firma ist in dem Jahrzehnt ihres  Bestehens ihrer Aufgabe, den Verkehr besonders in hochwertigen Gütern nach  und ab dem Hafen Osnabrück zu heben, in weitgehendem Maße gerecht geworden.

An der Gesellschaft sind die Schifffahrtsfirmen „Westfälische Transport-Aktiengesellschaft“ in Dortmund, „Lehnkering & Co.“ in Duisburg, „Schulte & Bruns“ in  Emden, „Schleppschifffahrtsgesellschaft Unterweser“ in Bremen und die „Münsterische Schifffahrts- und Lagerhaus-Aktiengesellschlaft“, in Münster i.W., ferner  die „Westfälische Kohlenhandelsgesellschaft“ in Dortmund und die Stadt Osnabrück beteiligt. Die Beteiligung der obengenannten angesehenen Schifffahrtsfirmen hat der Osnabrücker Lagerhausgesellschaft unter Leitung ihres umsichtigen  Geschäftsführers schnell großes Vertrauen in den interessierten Industrie- und  Handelskreisen und darüber hinaus gebracht.

Zur Beschleunigung des Anschlussverkehrs vom Hafen nach den Industriewerken und umgekehrt bestehen  Projekte, durch besondere Bahnanlagen die Werke direkt mit dem Hafen zu verbinden. Solche Verbindungen gestatten eine unmittelbare Bedienung der Industrie durch Hafen- oder Werkslokomotiven, ohne die Betriebsmittel der Reichsbahn  in Anspruch zu nehmen.

Es wird erwartet, dass die dadurch erreichte Ausschaltung von Zwischenbetrieben eine ins Gewicht fallende Verbilligung des Verkehrs  zur Folge haben wird. Die sich hieraus ergebende größere Konkurrenzfähigkeit  der Werke ist für den Bezirk Osnabrück zweifellos von großer wirtschaftlicher  Bedeutung und es haben sich diesen für die Allgemeinheit erzielbaren Vorteilen  etwaige Einzelinteressen unterzuordnen.

J. Thöle

Quelle: Deutschlands Städtebau, bearbeitet und herausgegeben im Einvernehmen mit dem Magistrat von Stadtbaurat Friedrich Lehmann, DARI- VERLAG Berlin-Halensee 1923

Quelle: Bürger-Echo vom 11.3.2009