Der Bergarbeiterstreik von 1898 und das Ende des Kohlebergbaus im Piesberg

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Der Verein der „Freunde und Förderer der Alten Kirche  zu Wallenhorst e.V“ folgt sicher einem guten Brauch, an den Anfang seiner  Mitgliederversammlungen einen Vortrag einzuplanen. Dabei wird nach Möglichkeit ein Thema gewählt, das einen Bezug zur Wallenhorster Geschichte und  zur Alten Kirche hat. Wallenhorst ist eng mit dem Piesberg verbunden. So ist  es kein Wunder, dass auch über den Steinkohlebergbau und die Steinindustrie  des Piesbergs schon zweimal berichtet worden ist. ln beiden Referaten standen  technische und ökonomische Probleme, Lösungen und Entwicklungen im Vordergrund. Diesmal wurde das Ende des Bergbaus im Piesberg von einer anderen  Seite beleuchtet.

Der Streit um die Erhaltung von katholischen Feiertagen und die  Stilllegung der Gruben hatte große gesellschaftspolitische Ursachen und Folgen.  Dazu konnte Herr Prof. Dr. Wolfgang Klein gewonnen werden. Prof. Klein war bis  zu seiner Pensionierung 20 Jahre lang Professor an der Katholischen Fachhochschule Norddeutschland mit den Standorten Osnabrück und Vechta. Sein Fachgebiet war die Christliche Sozialethik, und aus dieser Sicht hat sich der Referent  seit langem mit der Eigenartigkeit dieses Bergarbeiterstreiks befasst.

Kohlebergwerk und Steinbruch am Piesberg waren 1889 von der Stadt Osnabrück an den Georgs-Marien-Hütten-Verein verkauft worden. Bis dahin wurde  an den so genannten kleinen katholischen Feiertagen nicht gearbeitet, und die  Gläubigen waren zum Besuch der hl. Messe verpflichtet. An Hl. Dreikönige (6.  Jan.), Mariä Lichtmeß (2. Febr.), Mariä Verkündigung (25. März), Peter und Paul  (29. Juni), Mariä Geburt (8. Sept.), Allerheiligen (1. Nov.) und Mariä Empfängnis  (8. Dez.) ruhte die Arbeit im Piesberg. Das blieb auch beim neuen Eigentümer  zunächst so. Als dann aber ein zweiter Tiefbauschacht niedergebracht wurde, um  an tiefer gelegene Kohleflöze heranzukommen, die weit unter dem Grundwasserspiegel lagen, führte das zu erheblichen Wassereinbrüchen. Das gefährdete die  Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Hinzu kam, dass die Landwirte entlang der  Hase gegen die Einleitung des Salzwassers in den Fluß prozessierten, weil sie  das Hasewasser zur Bewässerung ihrer Rieselwiesen nutzten. Ein 48 km langer  Kanal zur Ems schien zwar machbar aber zu teuer.

So nahm denn Generaldirektor des Georgs-Marien-Hütten-Vereins, August Haarmann Kontakt auf mit dem Bischof Dr. Bernhard Höting, um über die Feiertagsregelung zu verhandeln. Der Bischof holte dazu die Meinungen der Pfarrer der  betroffenen Pfarrgemeinden ein. Die Pfarrer waren sich einig, daß die Arbeiten  zur Wasserhaltung auch an Feiertagen notwendig seien, Kohleförderung sei aber  nicht nötig. Falls erforderlich, seien die Arbeiter auch zu Überschichten bereit. Am  liebsten wollten sie die Feiertage beibehalten.

Wenn trotzdem gearbeitet werden  müsse, sei es ihnen allerdings nicht möglich, vorher einen Gottesdienst zu besuchen. In weiteren Verhandlungen schlug die Werksleitung vor, vor Beginn der  Arbeit in der Kapelle zu Eversburg und in der Pfarrkirche zu Wallenhorst eine hl.  Messe anzubieten. Wegen des Schichtbeginns um 6.00 Uhr, mussten diese Gottesdienste schon um 4.00 Uhr stattfinden. Das wiederum fanden die Geistlichen  als unzumutbar. Am Dreikönigstag 1898 gab es keinen Frühgottesdienst, und  die Arbeiter erschienen nicht zur Arbeit. Auch am 2. Februar, Mariä Lichtmeß,  kam mehr als die Hälfte der Bergleute und Steinbrucharbeiter nicht zur Arbeit.  Die Werksleitung machte die Geistlichen von Wallenhorst und Eversburg dafür  verantwortlich und forderte erneut die Einrichtung von Frühgottesdiensten. Die  Pfarrer lehnten jedoch weitere Besprechungen ab.

Der Streit um die Feiertage fand inzwischen auch in anderen Regionen Beachtung.  Die Kontakte des Eversburger Vikars Bucholtz zum Vorsitzenden des „Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter“, August Brust in Essen, führte am 27. Februar  1898 zur Gründung eines örtlichen „Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter“.  Am 25. März 1898, Mariä Verkündigung, kamen trotz Verlegung des Schichtbeginns auf 9.00 Uhr 325 katholische und 8 evangelische Bergleute nicht zur Arbeit.  Diesen wurde sofort gekündigt, worauf 108 Bergleute und 331 Steinbrucharbeiter ihrerseits kündigten. Am 12. April schlossen sich weitere 700 Arbeiter den  Streikenden an. Die Bergarbeiter wollten unter allen Umständen die Feiertage  behalten.

Hatten bisher der Bischof und die Pfarrgeistlichen ohne Mitsprache der Arbeiter  mit der Werksleitung verhandelt, so stützten sich die Verhandlungsführer offenbar angetrieben vom Eversburger Víkar Bucholtz von nun auf die Forderungen  der Bergleute. Diese wurden unterstützt von den sozialreformerischen Ideen des  1890 gegründeten „Volksvereins für das katholische Deutschland“. Von großem  Einfluss war sicher auch die 1891 von Papst Leo Xlll. verfasste Enzyklika „Rerum  novarum“. Diese Enzyklika betont das Recht der Arbeiter, eigene Angelegenheiten selbst zu regeln und Vereinigungen zur Interessenvertretung zu bilden. Die  Werksleitung lehnte dagegen die Beteiligung der Belegschaft an technischen und  wirtschaftlichen Entscheidungen ab, da dafür die Kenntnisse fehlten.  Der Bergarbeiterstreik bekam damit eine hochpolitische Note. Jetzt standen sich  katholische Arbeiterorganisationen mit der dahinter stehenden Zentrumspartei  und die Nationalliberale Partei als Vertreterin der kapitalistischen Wirtschaftsinteressen gegenüber. Das Ende war die Schließung des Kohlebergbaus und für viele  Bergarbeiter Arbeitslosigkeit.

Die streikenden Bergarbeiter hatten ihr Ziel nicht erreicht. Sie hatten aber erfahren,  dass man durch Solidarisierung und gewerkschaftlichen Zusammenschluss die  eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen kann. Ihr Selbstbewusstsein  war erwacht. Die Arbeiter wollten sie sich nicht länger unmündig und unselbständig behandeln lassen und forderten ihre Rechte im Wirtschaftsprozess. (He)

Quelle: Bürger-Echo vom 8.4.2010