Die „Nasse Heide“ war zu damaliger Zeit ein kleines Randgebiet der Gemeinde Hollage. Bürgerlich/politisch war man Teil dieser Gemeinde, schulisch gehörte man nach Absprache über einen Schulzweckverband Wallenhorst-Hollage seit 1907 nach Wallenhorst und kirchlich auch nach dem Bau der Josefs-Kirche Hollage 1922 weiterhin zur Alexander-Gemeinde Wallenhorst.
Ein Teil der „Nasse Heide“ war Besitztum der Klöckner-Werke Piesberg. 12 Fachwerkhäuser, die dort von den Klöckner-Werken errichtet waren, wurden von Familien bewohnt, denen zur Bedingung gemacht wurde, jeweils einen Arbeiter für den Piesberg zu stellen. Dadurch wurde dann die Wohnmiete recht günstig. Garten und Ackerland waren eingebunden und somit konnte man auch Nutz-Vieh halten, das zum Lebensunterhalt wichtig war. Dieser war somit gesichert, wenn man gut wirtschaftete, für damalige Verhältnisse ein relativ gutes Angebot. Man war ja auch bescheiden und stellte keine großen Ansprüche. Die Wohnqualität ließ zu wünschen übrig, doch man war zufrieden mit dem, was man hatte. Das Wort Luxus oder Komfort waren fremd. So gut es ging, richtete man es sich gemütlich ein. Elektrisches Licht so- wie fließend Wasser aus dem Wasserkran kannte man nicht.
„Dei graute Brunnen“
Wasser zum Lebensunterhalt für Mensch und Tier musste aus einem tiefen Brunnen, dem sogenannten „großen Brunnen“ oder „Adamsbrunnen“ geholt werden. Ca. 12 Familien waren betroffen. Um an das kostbare Nass zu gelangen, war die Entfernung zum Teil 50-400 Meter. Ob man sich das für unsere Gegend in heutiger Zeit überhaupt vorstellen kann? Wie ging nun diese Schwerstarbeit vonstatten?
Ein Wasserjoch, so wurde es genannt, wurde über die Schulter gelegt, an beiden Selten hing dann eine Kette oder ein starkes Seil, woran ein stabiler Zinkeimer baumelte (leichte Plastikeimer wie heute gab es damals noch nicht). So ein Zinkeimer fasste ca. 10-12 Liter -für den Wasserträger keine leichte Last. An einer Drehwinde, die man mit der Hand bedienen musste, war ein Drahtseil befestigt, an diesem Seil wurde der Eimer in einem Splint eingehakt und dann in die Tiefe des Brunnens eingelassen, um überhaupt an das kostbare Gut zu gelangen. Das war Schwerstarbeit und auch nicht ungefährlich.
Der Brunnen hatte eine Tiefe von 48 m und einen Durchmesser von 4,5 m. Er war von innen ausgemauert. Das Wasser war klar wie Kristall, man möchte sagen, echtes Felsenquellwasser, und sehr gut im Geschmack. Lebensgefährlich war es nur, das Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Die Gefahr war enorm. Ob man das gar nicht so erkannt hat? Sicherheitsvorkehrungen waren gleich Null. Wenn ich persönlich heute darüber nachdenke, läuft mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Nichts war gesichert: nach heutigem Ermessen ein unhaltbarer Zustand. Doch, Gott sei Dank. es ist kein lebensgefährlicher Unfall vorgekommen.
Doch wie überhaupt kam die „Nasse Heide“ zu solch einem Riesenbrunnen?
Alten Erzählungen folgend sollte ursprünglich an dieser Stelle kein Brunnen entstehen, es sollte ein Luftschacht für einen Bergwerksstollen des Piesbergs werden. Angeblich sollten die verzweigten Stollengänge bis in die „Nasse Heide“ führen. Durch diesen Schachtbau ist man dann wohl durch einen unglücklichen oder glücklichen Zufall auf eine Wasserader oder Quelle gestoßen, die den weiteren Schachtbau unmöglich machte. Somit war „dei graute Brunnen“ ins Dasein getreten. Ein Brunnen, der glücklicherweise Jahrzehnte Lebensquell für viele, viele Menschen und auch Tiere war. In trockenen Sommermonaten kamen auch noch viele Familien aus der umliegenden „Nasse Heide“, um sich hier mit Wasser zu versorgen, denn dann waren dort die eigenen Brunnen oftmals versiegt. Sie kamen mit Handwagen und großen Gefäßen und Behältern, um sich einen Vorrat zu holen. Dann war so richtig Hochbetrieb.
Man stand, wie man heute sagt, lange in der Warteschlange. Viele Menschen hatten vom „großen Brunnen“ ihren Iebensnotwendigen Vorteil. Wohl keiner hat daran gedacht, dass dieser Lebensquell einmal versiegen könnte. Bis zum Jahr 1962 war alles in Ordnung. Dann plötzlich wurde das spiegelklare Wasser zum Schrecken aller ungenießbar. Was auch immer der Grund dafür war, die direkte Ursache blieb wohl unbekannt. Der Brunnen musste zugeschüttet werden. Das Ende und vollständige Aus für den „grauten Brunnen“ war besiegelt: man zählte das Jahr 1969.
Das „Lämpkenfest“
Auch dieser Werdegang hört sich in heutiger Zeit fast wie ein Märchen an. Doch leider war auch diese Situation bis zum ,„Lämpkenfest“ Wirklichkeit.
Bezogen auf die 12 Piesberger Häuser: es gab hier auch kein elektrisches Licht. Petroleumlampen waren die spärlichen Lichtquellen, die außerdem noch unangenehmen Geruch sowie Qualm und Rauch auslösten. Es war einfach eine richtige Funzel, die nur das notwendigste Licht hergab.
Doch hier kam dann plötzlich eine Wende und gleichzeitig damit verbunden eine große Freude. Ein Bewohner dieser besagten Häuser hatte den Elektriker-Beruf erlernt. Dies war für die damalige Zeit fast schon etwas Besonderes, zumal er auch anschließend seine Meisterprüfung für dieses Handwerk gemacht hatte. Er hatte immer gesagt: „Werde ich diesen Sprung einmal schaffen, werde ich alles daran setzen und dafür Sorge tragen, dass elektrisch Licht in unsere Häuser kommt.“ Gesagt, getan; es blieben keine leeren Worte.
Und es ging mühsam ans Werk. Die „Alt-Nasse Heide“ war im Aufbruch: es sollte Strom und elektrisches Licht geben. Ein jeder wurde gefordert und musste arbeitsmäßig dazu beitragen, wenn alles klappen sollte. An die Klöckner~Werke Piesberg (als Eigentümer) musste ein Antrag gestellt und um Genehmigung gebeten werden. Die Einwilligung erfolgte bald. Und mit Eigenarbeit aller Bewohner ging es dann ans Werk.
Lichtmasten, die damals noch durchs Gelände aufgestellt werden mussten, wurden vom Piesberg geliefert, aber als Rohmasten. Die Baumrinde musste dann durch Handarbeit entfernt werden. Zählertafeln wurden vom Elektriker selbst angefertigt, natürlich mit Genehmigung der Nike. Kaufen konnte man so etwas noch gar nicht, es war ja unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, da brauchte man an so etwas fast nicht zu denken. Die selbstgefertigten Zählertafeln mussten dann selbstverständlich von der Nike nochmals auf Sicherheit überprüft werden. Dann erst wurden in den Häusern Kabel und Stromstrippen gezogen und verlegt.
Durch gute Zusammenarbeit und Hilfe aller Beteiligten klappte alles gut. Jedes der besagten Häuser durfte aber nur drei Stromquellen erhalten, das war vorgeschrieben. Damit musste man dann auch zufrieden sein. Nach mehreren Wochen Arbeit war alles geschafft. Die Bewohner besaßen Lichtquellen, deren Betätigung das Zimmer hell erleuchtete. Das war eine unglaubliche Freude. Positiv und mit großem Erfolg war das ersehnte Ziel erreicht. Ein Ereignis, das mit einer frohen Feier besiegelt werden sollte. Das Fest musste natürlich einen Namen tragen und alle Beteiligten einigten sich durch allgemeine Abstimmung auf „Lämpkenfest“. Eine große Diele wurde zur Verfügung gestellt. Mit Tannengrün, Birken und bunten Papierbändern wurde der Raum geschmückt. Eine originelle Einladung wurde für jeden gefertigt und dann ging’s mit Jung und Alt zum fröhlichen „Danz up de Deel“.
Ein Akkordeonspieler, der auch aus den eigenen Reihen kam, sorgte für Spaß und gute Laune und ein jeder tat das Seinige dazu. Es wurde gesungen, gelacht und getanzt. Das gab eine tolle Stimmung, wie sie besser nicht sein konnte, und an die jede der noch lebenden Personen von damals mit Freude zurückdenkt. So war das berühmte „Lämpkenfest“ entstanden, das heute noch in guter Erinnerung ist, verbunden mit Freude und Dankbarkeit für das gelungene Werk, das uns damals vor über 60 Jahren einen Fortschritt ins Leben brachte.
Treffen sich heute Personen aus damaliger Zeit sprechen sie alle noch gern darüber. Dann heißt es: „Erinnerst du dich noch an unser „Lämpkenfest“ und unser erstes elektrisches Licht? Was waren wir glücklich und stolz, es war einfach schön.“
Ob man sich wohl heute in einer Zeit, die doch fast allen täglich ein Verwöhnprogramm in jeder Hinsicht bietet, eine solch ärmliche und behelfsmäßige Zeit noch vorstellen kann? ich glaube kaum, dass dies noch nachvollziehbar ist. Doch ich möchte dazu sagen dürfen: diese Zeit von damals möchte man sich nicht gerade zurück wünschen, doch dankbar dafür kann man dennoch sein. Das heutige bequeme Leben hat dadurch einen anderen Stellenwert erhalten und man schätzt die Annehmlichkeiten, die jetzt so selbstverständlich sind, anders ein.
Thekla Albers
Quelle: Bürger-Echo vom 23.7.2008