Auf dem Bockholt in Alt-Wallenhorst tagten im Spätmittelalter die Landstände
Für das Bockholt in Wallenhorst begann die große Karriere, als ihn die Geistlichkeit Ende des 19. Jahrhunderts als Bauplatz der neuen Alexanderkirche auswählte. Mit der Kirche verlagerte sich nach und nach auch die gesamte dörfliche Infrastruktur in dieses neue Ortszentrum, während das „Alte Dorf“ an Bedeutung verlor.
Von Joachim Dierks
WALLENHORST Man darf wohl sagen, dass das Bockholt nach 1880 „wieder“ zum Zentrum wurde. 400 Jahre zuvor war es das bereits auch schon einmal, jedenfalls was Politik und Verwaltung angeht. Spätestens seit 1433 sind für die kleine Anhöhe, die mit Buchenholz bestanden war – daher die niederdeutsche Bezeichnung „Bockholt“ -, Tagungen der Landstände des Fürstbistums Osnabrück belegt.
Das Fürstbistum oder Hochstift Osnabrück deckte sich in etwa mit dem Gebiet des heutigen Landkreises Osnabrück. Der Fürstbischof war geistlicher und weltlicher Herrscher zugleich. Er regierte jedoch nicht absolutistisch. Auf gewissen Sachgebieten, zum Beispiel bei den Finanzen, durften die Landstände mitreden. Es gab drei Stände: das Domkapitel, die Ritterschaft und die Städte (Osnabrück, Fürstenau, Wiedenbrück und Quakenbrück). Von einer parlamentarischen Vertretung aller Bürger aufgrund eines allgemeinen Wahlrechts war das noch weit entfernt. Aber die Ritter auf ihren „landtagsfähigen Gütern“ setzten sich beispielsweise gegenüber dem Fürstbischof und seinem Administrator sehr wohl dafür ein, dass die von ihnen abhängigen Bauern nicht zu hohe Steuern an das Bistum zu entrichten hatten. Ihnen lag das wirtschaftliche Wohlergehen ihrer Eigenbehörigen am Herzen, damit die weiterhin imstande waren, ihre Abgaben an die Grundherrschaft zu leisten. Aus der hochmittelalterlichen Tradition der Rechtsprechung unter freiem Himmel, etwa durch „Freigerichte“ unter einer „Gerichtslinde“, entwickelte sich die Tradition, dass auch der Landtag im Freien tagte. Zumindest solange das Wetter es zuließ.
Häufig versammelte sich der Landtag unter der „Hohen Linde“ auf einer erhöht liegenden Wegekreuzung bei Kloster Oesede. Oder eben auf dem Wallenhorster Bockholt. Das Bockholt hatte eine ähnlich „verkehrsgünstige“ Lage nördlich der Gabelung der alten Heerwege, wo es geradeaus nach Bramsche und halb rechts nach Engter ging. Außerdem sprach für Wallenhorst, dass es etwa in der geografischen Mitte des Fürstbistums lag. Wo exakt der „verschwundene Ort“ des Versammlungsplatzes war, ist nicht bekannt. Man darf ihn im Bereich der heutigen Kirche und des Kirchplatzes vermuten, also in Nachbarschaft zur Annakapelle. Die Kapelle stand damals schon. Sie geht auf das Jahr 1426 zurück, als es auf dem Bockholt zu einer blutigen Auseinandersetzung kam: Herford und Osnabrück trugen eine Fehde aus. Zwei Söhne der adeligen Osnabrücker Familie von Wulf fielen. Ihnen zum Gedächtnis und zu ihrem Seelenheil stiftete die Familie auf dem Bockholt die Annakapelle. Über mehr als 100 Jahre blieb die Annakapelle das einzige feste Gebäude auf dem Bockholt.
Dann taucht 1561 im Viehschatzregister erstmals ein Markkotten unter dem Namen „Boickholt“ auf. Der Markkötter nahm den Namen des Ortes an, auf dem er sich angesiedelt hatte. Aus „Boickholt“ wurde Bockholt. 1834 erwarb Franz Kreienbaum die Markkötterei und führte den Namen „Kreienbaum, genannt Bockholt“. Er betrieb eine Schankwirtschaft an der Chaussee nach Bramsche. 1871 heiratete Heinrich Bitter aus Schinkel in diese Familie ein. Die Familie Bitter führte über mehrere Generationen die Gastronomie, die schließlich unter dem Namen „Töwerland“ ein glückloses Ende nahm – das ist ein weiterer „verschwundener Ort“ auf dem Bockholt. Besser erging es dem Gasthof Zur Post schräg gegenüber, der nach wie vor Hunger und Durst der Wallenhorster stillt, und das seit 200 Jahren. Das Gebäude selbst ist in seinen Ursprüngen noch einmal doppelt so alt. Es wurde um 1600 als Vogteihaus für den neu berufenen Vogt Tönnies Helberg errichtet und ist damit Beleg für die fortgesetzte politische Bedeutung des Bockholt. Es war so eine Art Landratsamt, von dem aus der Vogt als Statthalter des auf der Iburg residierenden Landesherrn die Verwaltungsgeschäfte für die Kirchspiele Wallenhorst und Rulle führte.
1682 baute die Gemeinde eine neue Vogtei auf der anderen Seite des Heerweges, etwa dort, wo heute Bäckerei Brinkhege angesiedelt ist. Ein Neubürger Everhard Bruns erwarb die alte Vogtei und betrieb Landwirtschaft. Sohn Tönies Bruns nahm zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Betrieb einer Schankwirtschaft als zusätzliches Standbein des Hofes auf. In späteren Generationen wandelte sich der Familienname zu Brüning, wobei die Endung „ing“ für Sohn oder Nachkomme des Bruns steht. Schankwirt Bruning profitierte von der Lage am viel befahrenen Heerweg Osnabrück-Bramsche-Lingen. Wahrscheinlich seit 1818 hatten die Brunings als naheliegende Ergänzung zum Postkutschen-Halt auch die Posthalterei als drittes Standbein an sich gezogen, was den Namen Gasthaus zur Post nach sich zog. Noch bis 1962 war hier die Wallenhorster Poststelle. Wenn auch die Versammlungsstätte des Landtags nicht mehr auszumachen und das Amtsgebäude des Vogts nicht mehr als solches zu erkennen ist, so gibt es doch immerhin hinter dem Pfarrheim der Alexandergemeinde noch einen Rest des Waldes, der dem Bockholt den Namen gab.
Verschwundene Orte: Diese Serie führt uns zu verschwundenen Orten in der Großgemeinde Wallenhorst, die einst bedeutend waren, über die die Zeit aber hinweggegangen ist. Teils sind trotz Verfalls oder Abbruchs noch Spuren aufzufinden, teils hat eine Neubebauung nichts als die Erinnerung bei älteren Mitbürgern übrig gelassen.