Und wozu das alles?

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Der Kommentar

Von Wendelin Zimmer

Gehen da Liebhaber ihren Privatinteressen nach, wenn Fachwerkhäuser sorgfältig abgetragen und anderswo wieder errichtet werden?
Will – wieder einmal und noch immer – jemand Geschichte beschwören und damit demonstrieren, dass irgendeine gute alte Zeit besser war als es die unsere ist?
Nein, es geht weder um Hobbies noch um die Glorifizierung der Vergangenheit. Es geht vielmehr darum zu zeigen, dass die Menschen in unserem Raum früher anders gelebt haben, wie und warum sie so gelebt haben, warum wir heute sinnvoll ähnlich nicht mehr leben können. Die Kenntnis der ökonomischen Bedingungen, der sozialen und kulturellen Strukturen geschichtlicher Lebensformen, die Einsicht in ihre Funktion im Prozeß  historischer Veränderungen erst ermöglicht es uns nämlich, all das richtig zu beurteilen, was uns selbst noch an Tradition anhaftet und tagtäglich begegnet.

Wenn wir wissen, woher so viele unserer Gewohnheiten kommen, wohin sie ursprünglich gehörten und  wie sie sich gewandelt und ausgewirkt haben, können wir emotionsloser entscheiden, ob und welche Traditionen wir beibehalten oder ablegen wollen. Unter diesem Aspekt kann uns die Geschichte, wenn sie – etwa  in einem Freilichtmuseum – durchsichtig dargeboten wird, wir also ihre Zusammenhänge und Tendenzen klar erkennen können, Entscheidungshilfen bieten.
Wir bleiben, ob wir es wollen oder‘ nicht, immer mit einem Stück Vergangenheit behaftet; aber dieses Stück sollten wir uns genau aussuchen.

Quelle: NOZ v. 04.09.1971