Zwischen den beiden Querdämmen lag die Bruchstelle, durch die sich vor 35 Jahren die Hase in den Kanal ergossen hatte. Foto: Joachim Dierks
Als die Hase fremdging
Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, als die Hase am 12. März 1981 auf Besuch in den Stichkanal kam. Aber vor 35 Jahren waren die Schäden unterhalb der Schleuse Hollage so erheblich, dass man im Zuge der Reparatur auch gleich mit der Verbreiterung des Kanals begann.
WALLENHORST/OSNABRÜCK
Das Problem ist alt und hängt dem Stichkanal quasi als Geburtsfehler an. Die preußischen Wasserbauingenieure wussten um die Risiken, als sie den Stichkanal vor mehr als 100 Jahren projektierten. Aber sie hatten keine andere Wahl. Sie standen vor der Aufgabe, den Stichkanal als Zubringer zum Mittellandkanal an die von Hügeln umgebene Stadt Osnabrück heranzuführen. Die einzige Möglichkeit, die Trasse durch einigermaßen ebenes Gelände zu legen, war der schmale Durchlass zwischen den Piesberg-Ausläufern und der Hase. Für den Kanalbau musste die Hase auf 1,2 Kilometer Länge nach Westen verschoben werden – ein Eingriff, den die Hase dem Kanal nie ganz verziehen hat. Bei Hochwasser versuchte sie immer mal wieder, ihr altes Bett zurückzuerobern.
Unter normalen Verhältnissen verlaufen die beiden Gewässer in enger Nachbarschaft von teilweise nicht einmal hundert Metern parallel. Das ist nichts Ungewöhnliches – an vielen Stellen in Deutschland hat man das ebene Gelände, das sich Flüsse für ihren Verlauf aus gesucht hatten, dazu genutzt, künstliche Wasserstraßen daneben zu legen. Aber: Das natürliche „Atmen“ des Flusses, der mal weniger und mal mehr Wasser führt, darf den Wasserspiegel des Kanals nicht beeinträchtigen. Denn für den Schiffsverkehr und den Betrieb der Schleusen ist es unabdingbar, dass der Wasserstand des Kanals sich nur in engen Grenzen von wenigen Zentimetern bewegt. Hochwasserschutzdämme sorgen dafür, Fluss und Kanal voneinander zu trennen. So auch in den Osnabrücker Stadtteilen Hafen und Pye sowie im angrenzenden Hollage.
Am 12. März 1981 jedoch hielt sich nach tagelangen Regenfällen die Hase nicht an die Abmachungen. Sie war zu einem mächtigen Strom angeschwollen, der längst alle Uferwiesen unter Wasser gesetzt hatte. Im Bereich unterhalb der Hollager Schleuse nimmt die Hase die aus Lotte-Wersen herankommende Düte auf, die naturgemäß ebenfalls Hochwasser führte und den Druck verstärkte. Das Wasser überspülte erst den Hase-Leitdamm und griff dann direkt den Kanaldeich an. Es war nicht einmal die absolute Höhe des Wasserstandes, die zum Eintritt des Hase-Wassers in den Kanal führte, sondern – so ein Ergebnis der späteren Untersuchung – ein „von Kleintieren unterwühltes Dammstück“.
Einige Fachleute gaben der Landwirtschaft eine Mitschuld an dem hohen Pegelstand. Denn wenn man Buschwerk zulasse und Weidenzäune ziehe, dann behindere man den Ablauf über die traditionellen Überschwemmungswiesen, weil sich Treibgut darin verfange und das Hochwasser nicht „sauber drüberschieben könne“.
Von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) vorsorglich eingesetzte „Dammgänger“ meldeten am 12. März gegen 17 Uhr etwa 350 Meter nördlich der Hollager Schleuse ein „rattenbaugroßes Loch“ im Deich. Eilig wurden Sandsäcke und Steine herbeigeschafft – im Nachhinein betrachtet eher hilflose Versuche, den Gang der Dinge aufzuhalten. Um 20 Uhr war der Damm auf einer Breite von 30 Metern weggerissen. Die nun ungehindert nachfließenden Wassermassen der Hase brachen ständig weitere Stücke aus dem lädierten Damm, sodass die Lücke schließlich 100 Meter betrug.
Aus dem gesamten Nordkreis wurden Feuerwehren alarmiert, die zusammen mit dem Technischen Hilfswerk und WSV-Trupps versuchten, Material an die Bruchstelle zu bringen. Der westliche Kanaldeich war jedoch so durchgeweicht, dass er unter Lkws und Raupen gänzlich nachgegeben hätte. Abhilfe brachte ein neuer Damm, den man am nächsten Tag etwas südlich der Bruchstelle quer durch den Kanal schüttete, um vom östlichen Ufer aus Material heranschaffen zu können. Umlaufend waren 30 Muldenkipper im Einsatz, die Kies vom Piesberg holten und ins Wasser schütteten. Die Baustelle war mittlerweile zu einem Ausflugsziel geworden. Mehrfach musste die Polizei eingreifen und Schaulustige abdrängen, die sich über die Zugangsverbote hinweggesetzt hatten.
Nach drei Tagen, am Abend des 15. März, hatte die Strömung durch die Bruchstelle endlich so weit nachgelassen, dass ein provisorischer Deichschluss gelang. Die WSV-Verantwortlichen legten fest, dass nördlich der Bruchstelle ein weiterer Damm durch den Kanal gezogen wird, um den Kanalabschnitt dazwischen leerpumpen und ausbaggern zu können. 32 000 Kubikmeter Mutterboden und Schlamm wurden dorthin zurückbefördert, wo sie hergekommen waren: in die Hasewiesen. Zur Sicherung der Bruchstelle rammte man eine stählerne Spundwand in der Position ein, die der späteren Ausbaubreite entsprach. Acht Wochen lang blieb die Schifffahrt gesperrt, neun Frachtschiffe lagen die ganze Zeit über im Osnabrücker Hafen fest.
Weitere Kontrollen des westlichen Uferdamms zeigten zahlreiche Schwachstellen auf. Anstatt diese auszubessern, entschied das Neubauamt für den Ausbau des Mittellandkanals, für die gut einen Kilometer lange Strecke zwischen Hollager Schleuse und Straßenbrücke Hollage-Halen den für spätere Jahre geplanten Ausbau vorzuziehen. Im Juni 1981 begann die Verbreiterung auf 46 Meter. Sie wurde noch im Herbst abgeschlossen.
von Joachim Doerks
Quelle: NOZ vom 9.3.2016